1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Historisch gesichert ist die Tatsache, dass sich der erste Nachweis über jüdisches Leben in Deutschland auf die Stadt Köln bezog. Die damalige Hauptstadt der niedergermanischen Provinz im Römischen Reich verfügte nicht über viel Geld. Als eine Brücke repariert werden sollte, bot ein Jude namens Isaac seine Hilfe an, wollte dafür allerdings ein Amt im Stadtrat haben. Damit das möglich war, musste Kaiser Konstantin ein Dekret erlassen. Dieses wurde schließlich im heutigen Köln überbracht und ist somit die erste erhaltene Quelle, in der jüdisches Leben auf der nördlichen Seite der Alpen dokumentiert ist.

In Köln blühte das jüdische Leben in den folgenden Jahrhunderten. Archäologen haben dort sogar das gut erhaltene mittelalterliche jüdische Viertel der Stadt gefunden. Dort soll in den kommenden Jahren ein Museum entstehen, außerdem hat sich die Stadt um den Status als Welterbe der UNESCO beworben. Doch auch anderswo in Deutschland gibt es wichtige Funde, die das jüdische Leben im Mittelalter dokumentieren.

Jüdisches Leben in Mitteldeutschland

In Mitteldeutschland waren jüdische Kaufleute zum Beispiel in der Lage, sich gegen Bezahlung kaiserlichen Schutz zu sichern. Etwa ab dem 8. Jahrhundert hatten sich Kaufleute vor allem an wichtigen Handelsrouten angesiedelt. Diese verbanden Städte wie Speyer, Main oder Worms mit Mittel- und Osteuropa. Auf diese Weise entstand jüdisches Leben zunächst in Orten wie Leipzig, Görlitz oder Zwickau. Schriftliche Quellen aus dieser Zeit gibt es zwar nicht mehr besonders viele. Allerdings ist eine Urkunde des Kaisers Otto I. aus dem Jahr 965 erhalten, die als frühestes Zeugnis des immer stärker verbreiteten jüdischen Lebens gilt.

Genau wie in anderen Regionen von Deutschland gab es jedoch im Laufe des Mittelalters immer wieder Verfolgungen. Selbst Martin Luther befeuerte diese mit einer 1543 veröffentlichten Hetzschrift. Diese hatte zur Folge, dass viele Juden nach Osteuropa flüchteten. Andere ließen sich in ländlichen Regionen nieder. So entstanden ab dem 16. Jahrhundert zahlreiche Gemeinden abseits der großen Städte, zum Beispiel im südlichen Thüringen oder im Vogtland.

Im 19. Jahrhundert erhielt das jüdische Leben in Sachsen dann einen erneuten Aufschwung. Nachdem die großen Erwartungen, die das Judendekret Napoleons schon 1806 geweckt hatte, zunächst nicht erfüllt wurden, sorgte der sächsische König Johann in den 1830er Jahren unter anderem dafür, dass öffentliche Synagogen gebaut werden durften. Es dauerte dann zwar noch bis 1869, bis Juden auch das volle Bürgerrecht in Sachsen erhielten. Danach gab es jedoch viele erfolgreiche Unternehmen, die von Juden geführt wurden. Leider war dieses florierende Umfeld jedoch nur von kurzer Dauer. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wurde das jüdische Leben in Mitteldeutschland in vielen Regionen komplett ausgelöscht. Auch in der DDR wurde nach dem Zweiten Weltkrieg kein besonderer Wert auf jüdische Traditionen gelegt. Viele Gemeinden wuchsen erst in den 90er Jahren wieder durch Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.

Jüdische Geschichte in Baden-Württemberg

Das heutige Baden-Württemberg ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Vorurteile gegen Juden schon seit vielen Jahrhunderten ein enormes Problem sind. Im Jahr 1496 starb mit Herzog Eberhard im Bart einer der wichtigsten Herrscher von Württemberg. In seinem Testament hatte er verfügt, dass es auch nach seinem Tod keine Ansiedlung von Juden in Württemberg geben dürfe.

Allerdings gehen die ersten Spuren jüdischer Kultur in dieser Region bis in das 11. Jahrhundert zurück, mehrere Hundert Jahre vor der Herrschaft Eberhards also. Zunächst ließen sich Juden vor allem in Reichs- und Bischofsstädten nieder. Ab dem 13. Jahrhundert lassen sich auch darüber hinaus jüdische Gemeinden in ganz Baden-Württemberg nachweisen, obwohl es auch damals immer wieder zu regionalen Pogromen kam. In erster Linie waren damals jüdische Finanziers gefragt, sowohl bei Stadt- und Landesherren als auch bei großen Weinbauern und anderen landwirtschaftlich geprägten Handelsunternehmen.

Ähnlich wie in Mitteldeutschland nahm auch im heutigen Baden-Württemberg die Verfolgung der Juden im 14. Jahrhundert nach und nach zu. Viele Juden wurden in dieser Zeit nach Osteuropa vertrieben, andere siedelten sich in ländlichen Regionen an. Im 15. Jahrhundert mündete das schließlich in die Politik von Herzog Eberhard, der auch schon vor seinem Tod eine antijüdische Politik verfolgte. So wurden etwa im Zuge der Gründung der Universität von Tübingen alle Juden aus der Stadt vertrieben.

Diese Politik hatte eine lange Wirkung. Bis zum Jahr 1806, in dem das Herzogtum Württemberg schließlich endete, wurde das Testament Eberhards umgesetzt. Das jüdische Leben in Württemberg wurde nur durch einzelne Familien aufrechterhalten, die als „Schutzjuden“ dort ihren Wohnsitz behalten durften. Um das Jahr 1800 gab es somit bei mehr als 650.000 Einwohnern in ganz Württemberg nur 534 Juden.

Bis zur bürgerlichen Gleichberechtigung dauerte es zwar noch bis 1862 (Baden) bzw. 1864 (Württemberg). Trotzdem verbesserten sich die Lebensverhältnisse für Juden im Laufe des 19. Jahrhunderts schnell. Diese kurze Blütephase wurde durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten ab 1933 jäh beendet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das jüdische Leben jedoch nach und nach wieder belebt, unter anderem mit der Einweihung der Stuttgarter Synagoge im Jahr 1952.

Veranstaltungen im Festjahr 2021

Von jüdischen Festtagen über die Musik bis zu koscherem Essen – in ganz Deutschland wird 2021 das jüdische Leben gefeiert. Das Festjahr geht auf ein römisches Gesetz zurück, das aus dem Jahr 321 stammt. Auf der Website des Vereins 321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gibt es dazu sogar ein spannendes Video. Darin wird – mit einem Augenzwinkern – gezeigt, wie das kaiserliche Dekret im 4. Jahrhundert vielleicht überbracht wurde.

Natürlich gibt es in ganz Deutschland eine Reihe von kleinen und großen Veranstaltungen, mit denen das jüdische Leben in Deutschland gefeiert wird. Ganz allgemein soll es dabei natürlich auch darum gehen, Vorurteile abzubauen und Diskussionen anzustoßen. Ein gutes Beispiel dafür ist ein neues Kunstwerk zum heutigen Verhältnis von Christen und Juden, das am Kölner Dom entstehen soll. Dabei geht es auch um die Auseinandersetzung mit antisemitischen Kunstwerken, etwa der sogenannten „Judensau“ am Dom, die schon seit einigen Jahren für Debatten gesorgt hat. Nicht nur der Kölner Rabbiner Yechiel Bruckner hat dabei gefordert, dass solche anti-jüdischen Darstellungen komplett verschwinden sollten.

Bei einigen Veranstaltungen im Laufe des Jahres dürfte es auch um solche Debatten gehen. Schließlich gibt es solche „Kunstwerke“ aus vergangenen Jahrhunderten auch an vielen anderen Kirchen in ganz Deutschland. Ganz allgemein geht es jedoch eher darum, dass Miteinander der Religionen und die schönen Seiten des Judentums zu unterstreichen.

Leider steht auch das Jahr 2021 im Zeichen der Corona-Pandemie. Eine ganze Reihe von geplanten Veranstaltungen wurden deshalb bereits abgesagt oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Viele Städte und Bundesländer geben ihre Hinweise deshalb eher kurzfristig ab. Bereits jetzt kann man jedoch eine ganze Reihe von interessanten Projekten finden, die außerhalb von geschlossenen Räumen oder im Internet veranstaltet werden.

Dazu gehören Kleinigkeiten wie „Jiddisch zum Kennenlernen“ – ein Kurs, der über das ganze Jahr von verschiedenen Volkshochschulen über die Videoplattform Zoom angeboten wird. Wer seine Kenntnisse vertiefen möchte, findet dazu ebenfalls an vielen Orten die passenden Varianten.

Eine andere Variante, die ebenfalls über das Internet veranstaltet wird, ist die virtuelle Begegnung mit jüdischen Menschen, die in Deutschland leben. Die Aktion „Meet a Jew“ wird durch die Bundesregierung gefördert und hat einen wichtigen Hintergrund. Wer schon einmal Jüdinnen oder Juden persönlich getroffen hat, ist nämlich weniger anfällig für Vorurteile oder Stereotype.

Natürlich gibt es in vielen Städten auch Spurensuchen zur Geschichte des jüdischen Lebens vor Ort. Solche Touren sollen etwa in Frankfurt am Main, Hamburg, Stuttgart, Berlin, München oder Köln veranstaltet werden, aber auch in vielen kleineren Städten und Gemeinden. In der Praxis ist die Planung solcher Veranstaltungen derzeit jedoch noch recht kompliziert, da sie stark von den durch die Corona-Pandemie verursachten Kontaktbeschränkungen abhängig ist.

Museen in ganz Deutschland haben dieses Problem ebenfalls. Das ist vor allem deshalb ein Problem, weil dort viele Ausstellungen mit langen Vorlaufzeiten organisiert wurden. Umfangreiche Listen mit geplanten Vorhaben sowie mit einer stets aktuellen Liste an kurzfristigen Änderungen gibt es in den einzelnen Bundesländern in der Regel auf speziellen Websites zum Thema des Festjahres. Städte und Gemeinden haben ebenfalls viele Übersichten zusammengestellt, und zu guter Letzt sollten Interessierte auch einen Blick auf die Informationen aus den jüdischen Gemeinden werfen, die in großen Städten, aber auch im ländlichen Raum in ganz Deutschland zu finden sind.

In diesem Zusammenhang ist es ein wenig schade, dass viele Veranstaltungen nicht vor Ort, sondern nur im Internet stattfinden können. Allerdings gibt diese Entwicklung auch Interessierten von außerhalb die Gelegenheit zur Teilnahme. Alles in allem ist ein solches ganz besonderes Festjahr in Zeiten von Corona somit kein Grund, sich über verpasste Chancen im Rahmen der Präsentation von bestimmten Themen Sorgen zu machen.

 

Wir sind da!  

Ist der neueste Buchtitel des freien Publizisten, Dokumentarfilmer und Rechercheurs Uwe von Seltmann. Es ist das absolute Highlight zum Jubiläumsjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« Das Buch zeigt die Vielfältigkeit des gegenwärtigen jüdischen Lebens und erzählt die reichhaltige Geschichte des deutschen Judentums von den Anfängen im Mittelalter über den langen Kampf um Gleichberechtigung und den schwierigen Neuanfang nach dem Holocaust bis heute.

Unter dem Motto »Wir sind da« – entnommen einem Liedtext des jiddischen Dichters Leyb Rozenthal – bietet es Antworten auf die aktuellen Fragen der jüdischen Gemeinschaft.

Wer sind die Juden? Woher kommen sie? In welcher Gesellschaft wollen sie leben? Gibt es eine deutsch-jüdische Kultur? Kann es ein »normales jüdisches Leben« in einem Land geben, das sechs Millionen ermordete Jüdinnen und Juden auf dem Gewissen hat und bis heute nicht frei von Antisemitismus ist?

Diese Fragen und noch vieles mehr beschreibt Uwe von Seltmann in einem atemberaubender Durchgang durch die jahrhundertealte Geschichte des Jüdischen Lebens. 

Dieses Buch ist kein Grabstein für das Gedenken an Früheres, sondern ein Füllhorn lebendiger Geschichte in Geschichten, das den Reichtum und die Vielfalt deutsch-jüdischer Vergangenheit und Gegenwart zum Leuchten bringt.

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