Familie Silber und die Verbindung zu Max Tischler

Grabstein des Max Tischler 2015

Im Rahmen meiner zusätzlichen Arbeit als Betreuerin in Sachen Deutsche Staatsbürgerschaft betrieb ich im Auftrag meines Klienten Roy Silber auch die Ahnenforschung dessen Familie. Es war uns bekannt, das Silbers Urgroßvater Max Tischler geheißen und vor dem Ersten Weltkrieg in Berlin gelebt hatte. Bei meiner umfassenden Suche im Internet bin ich dann eines abends auf auf die Mitteilungen der Magnus Hirschfeld Gesellschaft zur Restaurierung des Grabsteins Tischlers aufmerksam geworden. Spontan schrieb ich diese am 6. September 2015 eine ausführliche Email und erklärte ihnen um was es ging.

Roy Silber war sich aber nicht sicher, ob sein Urgroßvater identisch mit dem Max Tischler, den ich aufgespürt hatte, war. Schon ein kurzer Abgleich der Daten brachte dann aber Gewissheit: Roy Silber war tatsächlich der Urenkel des früheren Vorstandsmitglieds des Wissenschaftlich humanitären Komitees (WhK). Was für eine glückliche Fügung.

Roy Silber (geb. 1972) wusste nicht viel über seinen Urgroßvater. Bekannt war ihm aber, dass dessen Frau Mollie genannt wurde und dass das Paar zwei Töchter hatte. Die jüngere der beiden, Ilse Tischler (1913 – 1977), war seine spätere Großmutter.

Im Lauf der folgenden Wochen entwickelte sich ein reger Briefwechsel zwischen mir Roy und Raimund Wolfert, und im Zuge dessen hat Roy auch einige neue Erkenntnisse über das Lebensumfeld Max Tischlers sowie eine Reihe von Fotos aus dem Familienalbum, der Gesellschaft zukommen lassen. So konnten die rudimentären Angaben zur Biographie Tischlers, die der Magnus Hirschfeld Gesellschaft bereits vorlagen, in einigen Punkten ergänzt werden.

Max Tischler und die Ätiologie der multiplen symmetrischen Lipome

Max Tischler wurde am 1. Februar 1876 in Dobrzyca (Provinz Posen) in eine jüdische Familie geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Levy Tischler und dessen Frau Amalie (geb. Goetz). Seine medizinische Dissertation legte Tischler am 12. April 1906 unter dem Titel: Die Ätiologie der multiplen symmetrischen Lipome an der Universität Leipzig vor. Zwei Jahre später war er in Charlottenburg gemeldet, und um diese Zeit muss er in Kontakt mit Magnus Hirschfeld und dem Wissenschaftlich humanitären Komitee getreten sein. Ende 1908 wurde Tischler zum Schriftführer des WhK gewählt, und bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1919 behielt er eine Stellung als Vorstandsmitglied des WhK bei.

Dank der Mitteilungen Roy Silbers und neuerer Forschungen von Ralf Dose konnte ermittelt werden, dass Max Tischler und seine Frau Mollie am 27. März 1908 in Berlin Schöneberg heirateten. Zu diesem Zeitpunkt wohnte das Ehepaar in der Charlottenburger Danckelmannstraße 61. Wenig später zogen die Tischlers in die Berliner Straße 121 um. Mollies Geburtsname war Amalia Daust. Sie wurde am 7. März 1885 als Tochter deutschjüdischer Auswanderer aus dem Raum Posen in Saint Louis (Missouri) geboren. Das Ehepaar bekam zwei Kinder.

Die älteste Tochter Margot, genannt „Mattie“, erblickte am 21. März 1909 das Licht der Welt, ihre Schwester Ilse wurde vier Jahre später, am 21. April 1913, geboren. Bekannt ist, dass Max Tischler nach einem Einsatz als Arzt im Ersten Weltkrieg am 20. Juli 1919 im Alter von 43 Jahren verstarb. Als Todesursache gab sein jüngerer Bruder Hugo Tischler (18791943), der ebenfalls Arzt war und den Totenschein ausfüllte, ein Lungenödem an.

Wenig zu vor hatte es im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (JfsZ) geheißen, Max Tischler sei „krank aus dem Felde zurückgekehrt“, er bedürfe „äußerster Schonung“ und bitte, ihm vorläufig keine Briefe und Beiträge mehr zuzusenden. Nach seinem Tod gab das WhK in seinen Komitee Mitteilungen bekannt, Tischler sei nach „langem, im Kriege erworbenen Leiden“ verstorben. Heute wissen wir, dass sich Max Tischler das Leben genommen hatte.

Seine Tochter Ilse fand ihn eines Morgens tot in seinem Bett auf. Über die Hintergründe ist freilich kaum noch etwas zu ermitteln, und so ist nicht bekannt, ob traumatische Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, eine depressive Erkrankung oder beispielsweise eine Erpressung der äußere Auslöser für den Freitod Tischlers waren. Der Verstorbene wurde drei Tage nach seinem Tod auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee beigesetzt.

Margot Tischler

Margot Tischler trat beruflich in die Fußspuren ihres Vaters. Nach dem Studium der Medizin in Berlin bestand sie am 9. Mai 1935 das ärztliche Staatsexamen. Ihre medizinische Dissertation (über Knochenbrüchigkeit) legte sie am 30. April 1936 vor, ein halbes Jahr später erhielt sie ihre Approbation in Haifa. Sie heiratete Stefan Kalush, wurde zweifache Mutter und verstarb 1967 in Israel.

Ilse Tischler lebte bis zu ihrer Auswanderung nach Palästina Anfang 1934 in Berlin. Zuletzt war sie in der Claudiusstr. 17 (Hansaviertel) gemeldet, wo sie zusammen mit ihrem Bräutigam und ihrer Mutter wohnte. Um diese Zeit machte sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Ilse war literarisch interessiert und stand unter anderem in brieflichem Kontakt mit dem Schriftsteller Hermann Hesse (1877 – 1962).

Am 27. März 1934 heiratete sie den Medizinstudenten Erwin Silber (1912 – 2005), der gebürtig aus Czernowitz in der heutigen Ukraine stammte. Unmittelbar nach ihrer Heirat flüchtete das junge Ehe paar über Italien nach Palästina, wo sie sich in Haifa niederließen, und offensichtlich konnten sie unter anderem auch die Fotoalben der Familie Tischler mitnehmen. Ihre Berufsausbildung konnten aber weder Ilse noch Erwin Silber abschließen. In Palästina nahm Ilse den neuen Vornamen „Alisa“ an, und 1938 wurde ihr Sohn Michael geboren. Während Erwin als Konstrukteur tätig wurde, betrieb Alisa eine kleine Buchhandlung. Was sie ihrem Sohn über ihr Leben in Berlin erzählte, ist, was Roy Silber über die Geschichte seiner deutschen Vorfahren weiß.

Mollie Tischler

Mollie Tischler blieb zunächst in Deutschland. Vermutlich besaß sie nach wie vor die amerikanische Staatsbürgerschaft und genoss daher einen gewissen Schutzstatus. Noch 1938 war sie in Berlin gemeldet und arbeitete als Englischlehrerin. In der Jüdischen Rundschau vom 17. April 1934 hat sich eine Annonce Mollies erhalten, in der sie auf ihre Tätigkeit aufmerksam machte. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt hat Mollie Tischler neu geheiratet, und zwar den Schwiegervater ihrer Tochter Ilse. Der Kaufmann Benno Silber, in erster Ehe mit Yehudit Silber verheiratet, war ein Jahr älter als seine zweite Frau. Er wohnte um 1934 in der Charlottenburger Maikowskistraße 103 (heute Zillestraße) und ließ sich für Mollie von seiner ersten Frau scheiden. Laut dem Berliner Adressbuch war Benno Silber Teilinhaber einer Großhandlung für Reform Lebensmittel bzw. einer Firma für die Herstellung von Roggen Konserven. Die Firma Benno Silber & Co in der Charlottenburger Hardenbergstraße wurde 1929 eingetragen und 1940 liquidiert.

Nach 1938 sollen Mollie Tischler und Benno Silber in die USA geflüchtet sein, wo sie bis zu ihrem Lebensende wohnen blieben. Die Kontakte zu den Familienmitgliedern in Palästina bzw. Israel scheinen unter anderem wegen der großen Entfernungen zwischen den USA und dem Nahen Osten nicht sehr eng gewesen zu sein. Doch ist bekannt, dass Ilse und Erwin Silber ihre Eltern nach dem Zweiten Welt krieg mindestens einmal besuchten. Die Sterbedaten von Mollie und Benno Silber haben sich noch nicht ermitteln lassen. Heute ist nach wie vor unbekannt, wie lange und wo genau Max Tischler im Ersten Weltkrieg Dienst als Arzt tat.

Max Tischlers Urenkel Roy Silber war mittlerweile schon in Berlin und besuchte bei der Gelegenheit den restaurierten Grabstein seines Urgroßvaters. Ein unvergesslicher Moment der spirituellen Vereinigung mit seiner Familie.

Margot, Max, Ilse und Mollie Tischler (v.l.n.r.).
Das Foto dürfte um 1915 entstanden sein.

Max Tischler in Uniform (um 1918)

Mehr...

Familie Silber und die Verbindung zu Max Tischler

Familie Silber und die Verbindung zu Max Tischler

Eine faszinierende Geschichte darüber, wie die Beratung zur deutschen Staatsbürgerschaft zum jüdischen Friedhof in Berlin führte und dann eine sehr interessante Familiengeschichte über den Arzt und Wissenschaftler Max Tischler enthüllte.
Scroll to top
Skip to content